„Traum und Umnachtung“ von Georg Trakl (1887-1914)

Tanzabend (108)

Zu seinem 100. Todestag haben sich 5 Künstler aus ihrem Blickwinkel in musikalischer, leiblicher und bildlicher Darstellung mit dem Werk Trakls befasst.

Trakl gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des österreichischen Expressionismus. Sein Gesamtwerk ist geprägt von Schwermut, Trauer und der Suche nach Gott.

Tod, Verfall und der Untergang des Abendlandes sind zentrale Aussagen seiner tiefen Lyrik voller Symbole und Metaphern. Herbst und Nacht bilden die Leitmotive seiner Dichtung.

Maike Bartz : Bewegungsschauspiel / Tanz / Sprecherin
Leander Reininghaus : E-Gitarre / Sprecher
Andreas von Garnier : Synthesizer / Sprecher
Franz Werner Rautenstock : Regieassistenz, Bühnen – & Kostümbild
Bodo Orejuela : Videokunst / Bühnenbild

Georg Trakl und die literarische Moderne Traum und Umnachtung:

„Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düster hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.“

So lauten die ersten Verse im wohl letzten Gedicht des hervorragenden, österreichischen Lyrikers Georg Trakl (1887 – 1914) nach der Schlacht um „Grodek“. Er erlebt sie unmittelbar als Militärapotheker in einem Regiment der sterbenden K.-u.-K.-Monarchie. Er kann die Schwerverwundeten im Lazarett nicht retten, genauso wenig wie die alte Ordnung zu retten ist. Der ohnehin Sensibilisierte, von Depressionen Heimgesuchte, von Schuldgefühlen Gebeutelte ist den unbeschreiblich brutalen Kriegsereignissen nicht gewachsen. Die herbstlich grell bunt skizzierte Abendlandschaft führt sie alle in eine unaufhaltsam unerhört aufschreiende Totenlandschaft, auch ihn:

„O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre,
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.“

Es gibt keine Zukunft.

Teilweise panische Angst und Depressionen, wohl auch bedingt durch Alkohol- und Drogenkonsum, hatten ihn schon in seiner expressionistischen Schaffensperiode in eine Welt zwischen Euphorie und Betäubung getrieben. „Die Blumen des Bösen“ à la Baudelaire hatten sich längst in ihm entfaltet und waren ebenso symbolistisch zu seinen „kranken Blumen der Schwermut“ geworden. Am Ende seines Lebens wandelt er ähnlich somnambul wie sein „Sebastian im Traum“ durch den um sich greifenden Untergang einer monarchistisch geprägten Gesellschaft. Seine zu Transzendenz neigenden Stimmungen erscheinen uns auch 100 Jahre später wie eine Vorwegnahme der anhaltend zutiefst menschlichen Konflikte. Die metaphorisch farbigen, doch dunklen, verunklarten Bilder des Abends und der Nacht, die des Sterbens und des Todes, die der entfesselten Vergänglichkeit lassen uns nicht los: Depressionen und Kriege haben sich nur modifiziert oder verlagert. Der Zustand ist der gleiche.

So wollen wir Georg Trakl in der Wertschätzung in die Reihe stellen mit J.M.R. Lenz und Georg Büchner. Sie alle waren prophetisch und genialisch in ihrer kontemplativen Offenheit. Sie sind unbedingt lebendig, wie eh und je! Und deshalb wagen wir heute einen der wenigen Prosatexte musikalisch und theatertänzerisch zu interpretieren. Der schon nahezu in Agonie verfallene Protagonist reflektiert in „Traum und Umnachtung“ sein Leben, das dem des Autors Georg Trakl nicht unähnlich erscheint.